58
29. Die Rechte und Pflichten des Staats-
bürgers.
Jeder Bürger im Staate hat den Schutz für seine persönliche
Freiheit, sein Vermögen, seine Teilnahme an der Arbeit für die
Wohlfahrt des Staates zu beanspruchen. Diese Rechte fallen mit
der Staatsangehörigkeit zusammen.
Seine bürgerlichen Rechte können durch richterliches Urteil
aberkannt werden.
Dadurch verliert der Betreffende die aus öffentlichen Wahlen
hervorgehenden (Stadtverordneter, Landtags- und Reichstags-
abgeordneter usw.) Rechte, Ämter, Würden, Titel, Ehrenzeichen
und für die Dauer das Recht,
1. die Landeskokarde zu tragen,
2. in das Heer einzutreten,
3. öffentliche Ämter, Würden, Orden und Ehrenzeichen zu
erlangen,
4. in öffentlichen Angelegenheiten zu stimmen, zu wählen
oder gewählt zu werden oder andere politische Rechte
auszuüben,
5. Zeuge bei der Aufnahme von Urkunden zu sein,
6. Vormund, Rebenvormund, Pfleger, gerichtlicher Beistand
zu sein.
Wer Zuchthausstrafe gehabt hat, ist ohne weiteres vom
Heeresdienste und der Bekleidung öffentlicher Ämter ausgeschlossen.
Daher hüte sich ein jeder vor Missetaten, die den Verlust
der bürgerlichen Ehrenrechte zur Folge haben, er ist für sein
ganzes Leben gebrandmarkt.
Die Rechte nach der Verfassung sind im einzelnen:
a) Gleichheit vor dem Gesetz.
Alle Preußen sind vor dem Gesetze gleich. Standesvorrechte
finden nicht statt. Die öffentlichen Ämter sind für alle dazu
Befähigten zugänglich.
b) Gewährleistung der persönlichen Freiheit.
Jeder Bürger ist frei und darf nur auf Grund eines richter-
lichen Befehls in seiner Freiheit beschränkt, d. h. verhaftet verden.
Rur in Ausnahmefällen hat die Polizei das Recht, eine sofortige
Verhaftung vorzunehmen. Wer einen anderen widerrechtlich in
seiner persönlichen Freiheit beschränkt, wird wegen Freiheits-
beraubung bestraft, also auch der Polizeibeamte, der jemand
unberechtigterweise verhaftet.
Mit der persönlichen Freiheit hängt die Freizügigkeit, die
Freiheit der Auswanderung zusammen. Sie kann nur im Inter-
esse der Sicherheit des Landes, also in bezug auf den Heeres-
dienst beschränkt werden.
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TM Hauptwörter (100): [T41: [Staat Recht Volk Adel König Land Verfassung Gesetz Stand Verwaltung], T68: [Gericht Recht Richter König Strafe Gesetz Urteil Sache Person Verbrechen]]
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59
Freizügigkeit, Unterstützungswohnsitz.
Der Arbeiter Bergmann kam von Hof nach Burgstädt und
arbeitete hier in der Maschinenfabrik. Er wurde nach 1% Jahren
invalide und war nicht mehr in der Lage, sich und seine Familie
zu versorgen. Eigene Krankheit und Krankheit in der Familie
verwiesen ihn auf die Hilfe der öffentlichen Armenpflege.
Ein wenig wohlwollendes Mitglied der Armenkommission
machte seinem Mistmute Luft und sagte: „Mit der Familie haben
wir uns eine schöne Last aufgeladen. Die hätten wir gar nicht
aufnehmen sollen."
Ein anderer sagte zu ihm: „Herr 3t., Sie stecken mit Ihren
Anschauungen noch weit zurück in der Zeit, wo der einzelne in
seiner Freiheit beschränkt war. Sie scheinen das Gesetz über die
Freizügigkeit nicht zu kennen. Jeder Reichsangehörige ist be-
rechtigt, sich an jedem Orte unseres Vaterlandes niederzulassen,
überall Grundeigentum zu erwerben oder ein Gewerbe zu be-
treiben."
„Das weist ich wohl," sagte 3t., „aber das sah man dem
doch schon an, dast der nicht imstande sein würde, sich den not-
dürftigen Lebensunterhalt zu verschaffen."
„Das ist Ihre wenig wohlwollende Ansicht," antwortete B.,
„aber bloste Besorgnis vor künftiger Armut ist noch kein Grund
zur Abweisung. Und, Gott sei Dank, dast es so ist, sonst würden
sich alle ^warmherzigen^ Menschenfreunde, wie Sie einer sind, erst
jeden Zuziehenden daraufhin ansehen, und wenn ihm bloster
Verdacht käme, gute Leute zurückweisen. Unsere Gesetzgeber haben
es da doch besser gemeint: Wer über zwei Jahre an einem Orte
ist, hat damit das Recht auf Unterstützung erworben, wenn er in
Rot gerät."
„Von welchem Lebensalter beginnt denn dieses Recht?"
„Vom 18. Lebensjahre."
„Ist also ein zwanzigjähriger Mensch, der ein Jahr an einem
Orte ist, krank, dast er der öffentlichen Unterstützung bedarf, so
kann er der Heimatgemeinde wieder zugewiesen werden. Ist er
so krank, dast er nicht transportfähig ist, so fordert die neue Ge-
meinde die Kur- und Pflegekosten von der Heimatgemeinde ein."
„Also mit zwei Jahren verliert man den alten und erwirbt
den neuen Unterstützungswohnsitz. Die Sache ist für die einzelne
Gemeinde nicht so schlimm; denn es schließen sich oft mehrere
Gemeinden und Gutsbezirke zu einem Ortsarmenverbande zu-
sammen."
„Wie aber, wenn der alte Unterstützungswohnsitz verloren
und der neue noch nicht erworben ist, d. h. wenn der Arme vor
Ablauf von zwei Jahren schon wieder einen neuen Wohnsitz
nimmt?"
„Dann^ hat der Mann überhaupt keinen Unterstützuugs-
wohnsitz. In einem solchen Falle tritt der Landarmenverband
TM Hauptwörter (50): [T39: [Jahr Million Geld Mark Arbeiter Arbeit Zeit Summe Staat Thaler], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T26: [Recht König Stadt Staat Bauer Gesetz Beamter Adel Land Bürger]]
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TM Hauptwörter (200): [T5: [Jahr Recht Person Gemeinde Staat Steuer Familie Kind Lebensjahr Vermögen], T175: [Mensch Leben Natur Körper Seele Tier Thiere Arbeit Erde Pflanze], T81: [Herz Himmel Gott Welt Lied Leben Auge Erde Land Nacht]]
112
Wähler und innerhalb eines Zeitraumes von 90 Tagen nach der
Auflösung der Reichstag versammelt werden.
Artikel 26. Ohne Zustimmung des Reichstages darf die
Vertagung desselben die Frist von 30 Tagen nicht übersteigen und
während derselben Session nicht wiederholt werden.
Artikel 27. Der Reichstag prüft die Legitimation seiner
Mitglieder und entscheidet darüber. Er regelt seinen Geschäfts-
gang und seine Disziplin durch eine Geschäftsordnung und erwählt
seinen Präsidenten, seine Vizepräsidenten und Schriftführer.
Artikel 28. Der Reichstag beschließt mit absoluter Stim-
menmehrheit.
A r t i k e l 29. Die Mitglieder des Reichstages sind Vertreter
des gesamten Volkes und an Aufträge und Instruktionen nicht ge-
bunden.
A r t i k e l 30. Kein Mitglied des Reichstages darf zu irgend-
einer Zeit wegen seiner Abstimmung oder wegen der in Ausübung
seines Berufes getanen Äußerungen gerichtlich oder disziplinarisch
verfolgt oder sonst außerhalb der Versammlung zur Verantwortung
gezogen werden.
Artikel 31. Auf Verlangen des Reichstages wird jedes
Strafverfahren gegen ein Mitglied desselben und jede Unter-
suchungs- oder Zivilhaft für die Dauer der Sitzungsperiode auf-
gehoben.
Artikel 32. Die Mitglieder des Reichstages dürfen als
solche keine Besoldung beziehen. Sie erhalten als solche eine Ent-
schädigung nach Maßgabe des Gesetzes.
Vi. Zoll- und Handelswefen.
Artikel 33. Deutschland bildet ein Zoll- und Handels-
gebiet, umgeben von gemeinschaftlicher Zollgrenze.
Alle Gegenstände, welche im freien Verkehr eines Bundes-
staates befindlich find, können in jeden anderen Bundesstaat ein-
geführt und dürfen in letzterem einer Abgabe nur insoweit unter-
worfen werden, als daselbst gleichartige inländische Erzeugnisse
einer inneren Steuer unterliegen.
Artikel 35. Das Reich ausschließlich hat die Gesetzgebung
über das gesamte Zollwesen, über die Besteuerung des im Bundes-
gebiete gewonnenen Salzes und Tabaks, bereiteten Branntweins
und Bieres und aus Rüben oder anderen inländischen Erzeug-
nissen dargestellten Zuckers und Sirups.
In Bayern, Württemberg und Baden bleibt die Besteuerung
des inländischen Branntweins und Bieres der Landsgesetzgebung
vorbehalten.
Artikel 36. Die Erhebung und Verwaltung der Zölle und
Verbrauchssteuern (Art. 35) bleibt jedem Bundesstaate, soweit der-
selbe sie bisher ausgeübt hat, innerhalb seines Gebietes überlassen.
A r t i k e l 38. Der Ertrag der Zölle und der anderen in
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Extrahierte Ortsnamen: Deutschland Bayern Württemberg Baden
61
der Volkmannschen Kinder aber kam ins Waisenhaus in Halle,
welches der fromme Francke gestiftet hat, der aucf) nicht sagte:
„Was mich nicht brennt, das blas' ich nicht!" »■ H°r».
c) Unverletzlichkeit der Wohnung.
Auch die Wohnung ist unverletzlich. Man nennt dies
das Hausrecht. Haussuchungen dürfen nur in Ausnahmefällen
auf richterliches Urteil vorgenommen werden. Dagegen darf die
Wohnung durchsucht werden, wenn es gilt, einen Verbrecher 31t
ergreifen oder Straftaten zu ermitteln.
d) Freiheit des religiösen Bekenntnisses.
Wir haben in unserem Vaterlande evangelische und katholische
Christen, wir haben eine Menge religiöser Sekten, dazu eine
Menge Juden. Alle dienen Gott in ihrer Weise. Das religiöse
Bekenntnis ist vollständig frei, wie Friedrich der Große sagte:
„In meinem Lande kann jeder nach seiner Fasson selig werden."
Voraussetzung dabei ist, daß nicht etwa der Staat durch das
Religionsbekenntnis leidet, indem beispielsweise die Religion ihren
Bekennern den Waffen- und Kriegsdienst verbietet (Mennoniten).
e) Freiheit der Wissenschaft und Lehre.
Hieraus darf noch nicht gefolgert werden, daß ein jeder nach
Belieben Unterricht erteilen, Schulen einrichten darf, sondern nur,
wer die sittliche und wissenschaftliche Befähigung dazu hat. Der
Staat beaufsichtigt das ganze Unterrichtswesen, die Lehrer sind
öffentliche Beamte.
Für den grundlegenden Unterricht ist der Schulzwang vor-
gesehen, alle Eltern bzw. Vormünder sind verpflichtet, die Kinder
in die Volksschule zu schicken. Wenn die Wissenschaft und Lehre
gegen die Strafgesetze verstößt, so muß sie verboten werden.
f) Recht der freien Meinungsäußerung.
Jeder Bürger hat das Recht, seine Meinung in Wort, Druck,
Schrift, Bild usw. frei zu äußern. Die Zensur ist aufgehoben.
Die Preßfreiheit ist für das gesamte Deutsche Reich gestattet.
Damit ist aber doch nicht schrankenlose Freiheit gemeint, sondern
wenn die Reden, Schriften, Bilder usw. gegen den Bestand des
Staates, gegen Ehre und Ansehen regierender Personen, gegen
Religion und gute Sitten verstoßen, kommen sie mit den Straf-
gesetzen in Berührung, und das Recht der freien Meinungs-
äußerung ist beschränkt.
Auf jeder Schrift muß daher Druckerei und Verleger an-
gegeben sein, bei jeder Zeitung auch der verantwortliche Redakteur.
Der Polizeibehörde muß ein Exemplar zugestellt werden.
i?) Das Versammlungs- und Vereinsrecht.
In der Verfassung wird uns das Recht eingeräumt, Vereine
zu bilden und Versammlungen abzuhalten. Während bis jetzt
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Extrahierte Personennamen: Francke Friedrich_der_Große Friedrich
62
eine Reihe von Beschränkungen waren, die der Polizeigewall einen
weitgehenden Einfluß auf die Versammlungs- und Vereinstätigkeit
gestattete, ist durch das Reichsvereinsgesetz die Freiheit bedeutend
erweitert. Alle landesgesetzlichen Beschränkungen sind aufgehoben
und das Bereinsrecht auch den Frauen eingeräumt. Beschränkungen
erleiden nur noch die Veranstaltungen, welche mit einer Gefahr-
für Leben und Gesundheit der Teilnehmer verknüpft sind. Auf-
gelöst werden nur solche Vereine, deren Zweck den Strafgesetzen
zuwiderläuft.
Vereine, welche eine Einwirkung auf politische Angelegen-
heiten bezwecken, müssen einen Vorstand und eine Satzung haben.
Mitglieder des Vorstandes und die Satzungen sind innerhalb
14 Tagen nach der Gründung der Polizeibehörde einzureichen,
die eine Bescheinigung darüber erteilt. Ebenso sind alle Änderungen
der Statuten anzuzeigen. Satzungen und Änderungen müssen
in deutscher Sprache abgefaßt sein.
Wenn in Wahlzeiten eine Gruppe von Leuten zusammen-
tritt zur Förderung der Wahl, so ist das kein politischer Verein.
Jede politische Versammlung muß entweder 24 Stunden
vorher der Polizeiverwaltung angezeigt, oder durch öffentliche
Anzeige in der Zeitung oder durch Anschlag bekanntgegeben sein.
Zeit und Ort der Versammlung sind genau zu bestimmen.
Besprechungen zu Wahlzwecken oder von Arbeitern zum
Behufe der Erlangung günstiger Lohn- und Arbeitsbedingungen
fallen nicht unter die Anzeigepflicht.
Öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel und Auf-
züge auf öffentlichen Plätzen oder Straßen bedürfen der Ge-
nehmigung der Polizeibehörde. Sie darf nur versagt werden,
wenn aus der Abhaltung der Versammlung oder der Veran-
staltung des Aufzuges Gefahr für die öffentliche Sicherheit zu
befürchten ist.
Der Versammlungsleiter hat für Ruhe und Ordnung zu
sorgen, er kann die Versammlung auflösen.
Das Tragen von Waffen in solchen Versammlungen oder
Aufzügen ist im allgemeinen verboten.
Die Verhandlungen sind in deutscher Sprache zu führen.
Rur in den zweisprachigen Landesteilen, in denen die nichtdeutsche
Bevölkerung mehr als 60 °/rt der Bewohner beträgt, kann bis
1928 (20 Jahre nach dem Inkrafttreten des Gesetzes) der Mit-
gebrauch der anderen Sprache gestattet werden. Der Veranstalter ist
jedoch verpflichtet, dreimal 24 Stunden vor Beginn der Polizei-
behörde Anzeige zu machen und dabei anzugeben, in welcher
Sprache verhandelt wird.
Die Polizei darf in diese Versammlungen einen Beauftragten
entsenden, der sich dem Leiter als solcher vorzustellen hat. Ihm
muß ein angemessener Platz eingeräumt werden.
Der Beauftragte kann die Versammlung unter folgenden
Gründen auflösen:
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TM Hauptwörter (100): [T72: [Bauer Arbeiter Steuer Jahr Stadt Staat Abgabe Gemeinde Land Verwaltung], T68: [Gericht Recht Richter König Strafe Gesetz Urteil Sache Person Verbrechen], T87: [Tag Tisch Haus Frau König Mann Gast Herr Hand Abend], T3: [Lage Karte Land Europa Geographie Klima Größe Verhältnis Grenze Gliederung], T60: [Preußen Reich Staat Bund Kaiser deutsch Reichstag König Deutschland Regierung]]
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114
Der zur Gründung und Erhaltung der Kriegsflotte und der
damit zusammenhängenden Anstalten erforderliche Aufwand wird
aus der Reichskaffe bestritten.
Artikel 64. Die Kauffahrteischiffe aller Bundesstaaten
bilden eine einheitliche Handelsmarine.
Artikel 55. Die Flagge der Kriegs- und Handelsmarine
ist schwarzweihrot.
X. Konsulatwesen.
Artikel 56. Das gesamte Konsulatwesen des Deutschen
Reichs steht unter der Aufsicht des Kaisers, welcher die Konsuln,
nach Vernehmung des Ausschusses des Bundesrates für Handel und
Verkehr, anstellt.
Xi. Reichskriegswefen.
Artikel 57. Jeder Deutsche ist wehrpflichtig und kann sich
in Ausübung dieser Pflicht nicht vertreten lassen.
A r t i k e 1 58. Die Kosten und Lasten des gesamten Kriegs-
wesens des Reichs sind von allen Bundesstaaten und ihren An-
gehörigen gleichmäßig zu tragen.
A r t i k e 1 59. Jeder wehrfähige Deutsche gehört sieben Jahre
lang, in der Regel vom vollendeten 20. bis zum beginnenden
28. Lebensjahre, dem stehenden Heere, die folgenden fünf Lebens-
jahre der Landwehr ersten Aufgebots und sodann bis zum 31. März
des Kalenderjahrs, in welchem das 39. Lebensjahr vollendet wird,
der Landwehr zweiten Aufgebots an.
Artikel 63. Die gesamte Landmacht des Reichs wird ein
einheitliches Heer bilden, welches in Krieg und Frieden unter dem
Befehle des Kaisers steht.
A r t i k e 164. Alle deutschen Truppen sind verpflichtet, den Be-
fehlen des Kaisers unbedingte Folge zu leisten. Diese Verpflich-
tung ist in den Fahneneid aufzunehmen.
Der Höchstkommandierende eines Kontingents, sowie alle Offi-
ziere. welche Truppen mehr als eines Kontingents befehligen, und
alle Festungskommandanten werden von dem Kaiser ernannt. Die
von Demselben ernannten Offiziere leisten Ihm den Fahneneid.
Bei Generalen und den Eeneralstellungen versehenden Offizieren
innerhalb des Kontingents ist die Ernennung von der jedes-
maligen Zustimmung des Kaisers abhängig zu machen.
Artikel 66. Wo nicht besondere Konventionen ein anderes
bestimmen, ernennen die Bundesfürsten, beziehentlich die Senate
die Offiziere ihrer Kontingente.
Xii. Reichsfinanzen.
Artikel 69. Alle Einnahmen und Ausgaben des Reichs
müssen für jedes Jahr veranschlagt und auf den Reichshaushalts-
etat gebracht werden. Letzterer wird vor Beginn des Etatsjahres
nach folgenden Grundsätzen durch ein Gesetz festgestellt.
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115
Artikel 70. Zur Bestreitung aller gemeinschaftlichen Aus-
gaben dienen zunächst die aus den Zöllen und gemeinsamen
Steuern, aus dem Eisenbahn-, Post- und Telegraphenwesen sowie
aus den übrigen Verwaltungszweigen fließenden gemeinschaftlichen
Einnahmen. Insoweit die Ausgaben durch diese Einnahmen nicht
gedeckt werden, sind sie durch Beiträge der einzelnen Bundesstaaten
nach Maßgabe ihrer Bevölkerung aufzubringen, welche in Höhe
des budgetmäßigen Betrags durch den Reichskanzler ausgeschrieben
werden. Insoweit diese Beitrüge in den Überweisungen keine
Deckung finden, sind sie den Bundesstaaten am Jahresschluß in
dem Maße zu erstatten, als die übrigen ordentlichen Einnahmen
des Reichs dessen Bedarf übersteigen.
Artikel 72. über die Verwendung aller Einnahmen des
Reichs ist durch den Reichskanzler dembundesrate und dem Reichs-
tage zur Entlastung jährlich Rechnung zu legen.
A r t i k e l 73. In Fällen eines außerordentlichen Bedürf-
nisses kann im Wege der Reichsgesetzgebung die Aufnahme einer
Anleihe, sowie die Übernahme einer Garantie zu Lasten des Reichs
erfolgen.
Xiv. Allgemeine Bestimmungen.
Artikel 78. Veränderungen der Verfassung erfolgen im
Wege der Gesetzgebung. Sie gelten als abgelehnt, wenn sie im
Bundesrate 14 Stimmen gegen sich haben.
Diejenigen Vorschriften der Reichsverfassung, durch welche be-
stimmte Rechte einzelner Bundesstaaten in deren Verhältnis zur
Gesamtheit festgestellt sind, können nur mit Zustimmung des be-
rechtigten Bundesstaates abgeändert werden.
B.: Verfassung und Verwaltung von Reich und Staat.
54. Ursachen des Verfalls des alten Deutschen
Reiches.
2n alter Zeit wurde der Kaiser vom ganzen Volke gewählt.
Jeder hatte seinen Anteil daran. Je größer nun die Genossen-
schaften wurden, um so schwieriger wurde die Wahlhandlung.
Die Folge davon war, daß viele, besonders ärmere, die nicht die
Mittel hatten, weite Reisen zu machen, einfach zu Hause blieben. So
ging die Wahl allmählich aus den Händen des Volkes in die
der Fürsten über. Das war für Kaiser und Reich eine ver-
hängnisvolle Sache. Die Macht dieser Kur- und Wahlfürsten
wurde zum Schaden des Reiches immer größer. Wer den Kaiser-
thron erlangen wollte, mußte sich um ihre Gunst bewerben, ihnen
möglichst viele Wünsche erfüllen und versprechen, kaiserliche Rechte,
wie z. B. das Münzrecht, Bergwerksregal, Stadt- und Marktrecht
an sie abtreten zu wollen.
War ein Kaiser zu wählen, so berief der Erzbischof von Mainz
als Erzkanzler des Reichs die Fürsten zur Wahlversammlung.
8*
TM Hauptwörter (50): [T25: [Kaiser König Reichstag Recht Reich Verfassung Staat Regierung Jahr Fürst], T39: [Jahr Million Geld Mark Arbeiter Arbeit Zeit Summe Staat Thaler]]
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TM Hauptwörter (200): [T7: [Staat Gesetz Verfassung Recht Reichstag Reich König Regierung Volk Verwaltung], T39: [Million Mark Geld Jahr Summe Steuer Thaler Staat Ausgabe Einnahme], T80: [Kaiser Stadt Fürst Recht Reich König Reichstag Macht Adel Fürsten], T5: [Jahr Recht Person Gemeinde Staat Steuer Familie Kind Lebensjahr Vermögen]]
66
Durch das Reichsrecht ist der König mehrere rvichiige
Atachtvollkommenheiten losgeworden, die dem Deutschen Kaiser
übertragen sind. (Siehe dort.)
Der einzelne deutsche Staat hat zwar noch Gesandtschaften
(Vertretungen), aber die Vertretung des Reichs nach außen steht
doch nur dem Kaiser zu.
Unser König ist unverantwortlich nach zwei Richtungen:
1. Er ist politisch unverantwortlich, d. h. er kann in
keiner Weise wegen einer Regierungshandlung zur Rechenschaft
gezogen werden.
Der König steht über den Parteien und darf nicht in die
Streitigkeiten hineingezogen werden. Daher muß der Minister
die Verantwortung übernehmen und gegenzeichnen. Sonst könnte
leicht die Unverantwortlichkeit zur Willkür werden.
2. Er ist strafrechtlich unverantwortlich undun-
verletzlich, d. h. kein Gerichtshof kann ihn wegen irgendeiner
Handlung zur Verantwortung ziehen.
Dazu hat der König noch eine Reihe von Ehrenrechten:
1. den Titel „Majestät". Dieser stammt aus dem römischen
Reiche. Er wurde den römischen Kaisern beigelegt und ging
später auf die deutschen Kaiser über. Seit dem 16. Jahrhundert
nahmen auch die Regenten der Kleinstaaten diesen Titel an.
Ferner führt er die Bezeichnung „von Gottes Gnaden".
Dadurch soll zum Ausdruck gebracht werden, daß der Monarch
sein Recht von keinem auf der Welt ableite und nur Gott allein,
d. h. seinem Gewissen, für seine Handlungen verantwortlich sei.
Im Jahre 1849 wurde der Antrag gestellt, diese Bezeichnung zu
streichen. Er wurde mit Recht abgelehnt. Der Ausdruck ist auf
geschichtlichem Boden erwachsen und bedeutet nur, daß der König
nicht „von Volkes Gnaden" König ist. Abzuweisen sind jene
Vorstellungen, die mit dieser Bezeichnung eine übermenschliche
Einrichtung andeuten wollen und den König zum Statthalter
Gottes auf Erden machen. So war es in Frankreich zur Zeit
Ludwigs Xiv.
Fernere Ehrenrechte:
2. diejenigen auf bestimmte Insignien, Krone, Zepter, Reichs-
apfel und Schwert;
3. Die höchsten militärischen Ehren, Hofstaat, Hofzeremonien.
4. die Fürbitte im Kirchengebei.
5. die Landestrauer beim Tode des Monarchen. Durch
Gesetz vom 14. April 1903 ist dafür bestimmt:
a) 14 Tage lang werden mittags die Glocken der Kirchen
von 12 bis 1 Uhr geläutet.
b) Vier Tage lang vom Sterbetage an und am Tage der Bei-
setzung sind alle öffentliche Musik, öffentlichen Lustbarkeiten
und Schauspielvorstellungen einzustellen.
o) Zuwiderhandlungen werden mit 60 bis 150 Mk. bestraft.
TM Hauptwörter (50): [T25: [Kaiser König Reichstag Recht Reich Verfassung Staat Regierung Jahr Fürst], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T21: [Erde Sonne Tag Jahr Mond Zeit Stunde Punkt Abschnitt Periode]]
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Extrahierte Personennamen: Ludwigs
Extrahierte Ortsnamen: Gottes Gottes Frankreich Ludwigs_Xiv
117
auf beiden Ufern breitet, sammelte
der Andrang sich. Die Mauern einer Stadt
vermochten nicht das deutsche Volk zu fassen.
Am rechten Ufer spannten ihr Gezelt
die Sachsen samt der slawschen Nachbarschaft,
die Bayern, die Ostfranken und die Schwaben;
am linken lagerten die Rheinschen Franken,
die Ober- und die Nieder-Lothringer.
So war das Mark von Deutschland hier gedrängt
und mitten in dem Lager jedes Volks
erhub sich stolz das herzogliche Zelt.
Da war ein Grüßen und ein Händeschlag,
ein Austausch, ein lebendiger Verkehr!
Und jeder Stamm verschieden an Gesicht,
an Wuchs und Haltung, Mundart, Sitte, Tracht,
an Pferden, Rüstung, Waffenfertigkeit,
und alle doch ein großes Brüdervolk,
zu gleichem Zwecke festlich hier vereint!
Was jeder im besondern erst beriet
im hüllenden Gezelt und im Gebüsch
der Inselbuchten, mählich war's gereift
zum allgemeinen offenen Beschluß.
Aus vielen wurden wenige gewählt,
und aus den wenigen erkor man zween,
all' beide Franken, fürstlichen Geschlechts,
erzeugt von Brüdern, Namensbrüder selbst,
Uunrade, längst mit gleichem Ruhm genannt.
Da standen nun auf eines Hügels Saum,
im Ureis der Fürsten, sichtbar allem Volk,
die beiden Männer, die aus freier Wahl
das deutsche Volk des Thrones wert erkannt
vor allen, die der deutsche Boden nährt,
von allen Würdigen die Würdigsten,
und so einander selbst an Würde gleich,
daß fürder nicht die Wahl zu schreiten schien,
und daß die Wage ruht im Gleichgewicht.
Da standen sie, das hohe Haupt geneigt,
den Blick gesenkt, die Wange schamerglüht,
von stolzer Demut überwältiget.
Ein königlicher Anblick war's, ob dem
die Träne rollt' in manches Mannes Bart.
Und wie nun harrend all die Menge stand
und sich des Volkes Brausen so gelegt,
daß man des Rheines stillen Zug vernahm,
denn niemand wagt' es, diesen oder den
zu küren mit dem hellen Ruf der Wahl,
um nicht am andern Unrecht zu begehn,
noch aufzuregen Eifersucht und Zwist,
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht], T16: [Auge Kopf Körper Hand Haar Fuß Gesicht Blut Haut Brust]]
TM Hauptwörter (100): [T75: [Haar Auge Kopf Hand Gesicht Mann Farbe Mantel Fuß Frau], T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume], T83: [Karl Heinrich König Otto Sohn Reich Kaiser Sachsen Ludwig Herzog], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T1: [König Held Herz Mann Volk Siegfried Land Lied Hand Tod]]
TM Hauptwörter (200): [T81: [Herz Himmel Gott Welt Lied Leben Auge Erde Land Nacht], T102: [Glocke Stimme Wort Hand Auge Ohr Kirche Ton Fenster Herr], T171: [Heinrich Otto Herzog Kaiser König Friedrich Sohn Konrad Sachsen Schwaben], T136: [Leben Mensch Geist Natur Zeit Volk Welt Kunst Sinn Wesen], T13: [Baum Wald Feld Wiese Garten Gras Winter Mensch Sommer Haus]]
Extrahierte Ortsnamen: Sachsen Schwaben Rheinschen Deutschland
69
zur Rechenschaft gezogen werden. Durch „Resolutionen" werden
ihnen die Wünsche zur Befolgung mitgeteilt. Sie haben aber
dann unbedingt Folge zu leisten, wenn der König es genehmigt.
Jeder Minister ist in seinen Anordnungen unabhängig.
Jedes Ministerium ist in mehrere Abteilungen geteilt. An der
Spitze jeder Abteilung steht ein Ministerialdirektor, dem zur Seite
eine Reihe von Geheimräten stehen.
Das Staatsministerium ist das Kollegium der Minister, das
unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten Beratungen hält.
Für diese Verhandlungen sind bestimmt:
1. Entwürfe zu neuen Gesetzen und deren Abänderung, Ver-
waltungspläne. Es mutz vollständige Übereinstimmung herrschen;
2. Begründung einer Regentschaft;
3. Erlatz der Notverordnungen (Verordnungen im Falle einer
Notlage des Staats);
4. Verhängung des Belagerungszustandes über einen Ort
bzw. über ein Gebiet;
5. Auflösungen von Gemeindevertretungen;
6. Letzte Entscheidung über Disziplinarstrafen für Beamte.
Wenn das Staatsministerium unter dem Vorsitze des Königs
tagt, so heitzt es Kronrat.
Gegenwärtig haben wir folgende Ministerien:
1. Der auswärtigen Angelegenheiten. Dieses Ministerium
regelt die Beziehungen unseres Staates zu den anderen Mächten.
Daher sind diesem Minister die Botschafter, Gesandten, Konsuln usw.
unterstellt.
2. Des Krieges. Ihm ist die Verwaltung des ganzen Heer-
wesens übertragen.
3. Des Kultus der geistlichen, Unterrichts- und^Medizinal-
Angelegenheiten.
Hier werden sämtliche Angelegenheiten der Kirchen, Schulen
und Medizinal- oder Gesundheitsangelegenheiten erledigt.
4. Der Justiz. Ihm gehört die Rechtspflege im Staate;
sämtliche Gerichte, Rechtsanwälte usw. hat es in ihrer Tätigkeit
zu überwachen und zu leiten.
5. Des Innern. Hier werden sämtliche Verwaltungs-
angelegenheiten, die das innere Wohl des Staates betreffen, das
Polizeiwesen, das Verwaltungswesen erledigt.
6. Der Finanzen. Zu dem Arbeitsgebiet dieses Ministeriums
gehört das gesamte Steuerwesen.
7. Für Handel und Gewerbe. Ihm gehört die Pflege
des Handels und des Gewerbes mit allen Einrichtungen. Für
das Gewerbe ist besonders das Landes-Gewerbeamt eingerichtet,
welches besonders das gewerbliche Fach- und Fortbildungsschul-
wesen leitet und überwacht.
8. Der Landwirtschaft, Domänen und Forsten. Aus dem
Namen geht schon der Kreis seiner Tätigkeit hervor.
TM Hauptwörter (50): [T26: [Recht König Stadt Staat Bauer Gesetz Beamter Adel Land Bürger], T25: [Kaiser König Reichstag Recht Reich Verfassung Staat Regierung Jahr Fürst]]
TM Hauptwörter (100): [T72: [Bauer Arbeiter Steuer Jahr Stadt Staat Abgabe Gemeinde Land Verwaltung], T8: [König Paris Regierung Minister Parlament Volk Frankreich Kammer Mitglied Verfassung], T41: [Staat Recht Volk Adel König Land Verfassung Gesetz Stand Verwaltung], T68: [Gericht Recht Richter König Strafe Gesetz Urteil Sache Person Verbrechen]]
TM Hauptwörter (200): [T7: [Staat Gesetz Verfassung Recht Reichstag Reich König Regierung Volk Verwaltung], T99: [Stadt Verwaltung Provinz Gemeinde Beamter Kreis König Spitze Land Angelegenheit]]